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Die Rezeption der Aristotelischen Physik (Bücher I-II) im 13. Jahrhundert

Im Laufe des 13. Jahrhunderts wird die Physik des Aristoteles zu einem zentralen Lehrbuch des philosophischen Curriculums, das sowohl an den Artistenfakultäten wie auch in den Ordensschulen regelmäßig gelesen und kommentiert wurde. Im Mittelpunkt des vorliegenden Projekts steht die Rezeption der Bücher I und II, die einigen Grundthemen der aristotelischen Naturphilosophie, nämlich dem Problem der Prinzipien der Veränderung, dem Naturbegriff und den Begriffen der Notwendigkeit und des Zufalls, gewidmet sind. Die Kommentartradition soll durch kritische Editionen und inhaltliche Studien beleuchtet werden.


A) Das Projekt hat zwei Schwerpunkte:

1) Die aristotelische Physik an der Artistenfakultät in Oxford ca. 1250-1270

Vielleicht als Folge der wiederholten Lehrverbote an der Universität Paris (1210, 1215, 1231) ist für den Zeitraum 1250-1270 die Anzahl der erhaltenen Kommentare aus der Pariser Artistenfakultät bei weitem geringer als diejenige der Kommentare, die aus den englischen Artistenfakultäten (vor allem aus Oxford) stammen. Aus dieser Zeit sind nicht weniger als zehn – in den meisten Fällen anonyme – Quästionen-Kommentare erhalten, die mit Sicherheit oder mit großer Wahrscheinlichkeit an der Oxforder Artistenfakultät verfasst wurden und ein wichtiges Zeugnis für den Oxforder Aristotelismus um die Mitte des 13. Jahrhunderts liefern. Das vorliegende Projekt ist auf die – inhaltlich engverwandten und bisher wenig erforschten – Bücher I-II der Kommentare fokussiert, in besonderen Fällen wird es sich aber auch auf andere Teile der Kommentare erstrecken. Die vollständige Edition der verschiedenen Redaktionen des Kommentars des Oxforder Magisters Galfridus de Aspall († 1287) ist bereits erschienen (S. Donati/C. Trifogli/E. J. Ashworth, ‚Auctores Britannici Medii Aevi‘). Zurzeit wird die Edition von zwei miteinander verwandten Kommentaren vorbereitet: Anonymus, Quaestiones super Physicam, I-IV, Hs. Cambridge, Gonville and Caius College, 367 (Bücher I-II = ff. 120ra-125vb, 136ra-139rb); Anonymus, Quaestiones super Physicam, I-V, Hs. Oxford, Merton College, 272, ff. 136ra-174rb (Bücher I-II = ff. 136ra-152rb). Die Edition der Bücher I-II des anonymen Kommentars aus der Cambridge-Hs. befindet sich in einem fortgeschrittenen Zustand. Von den Büchern I-II des anonymen Kommentars aus der Oxford-Hs. liegt eine Transkription vor. Vorarbeiten zur Edition sind auch für die folgenden miteinander verwandten Kommentare durchgeführt worden: Anonymus, Sententia supra librum Physicorum ‚extracta de commento de verbo ad verbum‘, I-VI, Hs. Oxford, Bodleian Library, lat. misc. C. 69, ff. 1ra-41rb (Bücher I-II = ff. 1ra-14va); Anonymus, Quaestiones super Physicam, I-VIII, Hss. Cambridge, Gonville and Caius College, 509, ff. 1ra-51rb (Bücher I-II = ff. 1ra-26ra); Siena, Biblioteca Comunale degli Intronati, L.III.21, ff. 1ra-92ra (Bücher I-II = ff. 1ra-39vb); Anonymus, Quaestiones super Physicam, I, III-IV, Hs. Oxford, Merton College, 272, ff. 119ra-135Crb (Buch I = ff. 119ra-125ra); Anonymus, Quaestiones super Physicam, I-IV, VI, Hs. Oxford, New College, 285, ff. 118ra-162ra (Bücher I-II = ff. 118ra-132ra); Ps. Petrus Guentin de Ortenberg, Quaestiones super Physicam, I-IV, Hss. Firenze, Bibl. Naz. Centr., Conv. Soppr. A.V.563, ff. 1ra-125vb (Bücher I-II = ff. 1ra-69va), London, Wellcome Hist. Med. Libr., 333, ff. 8ra-68vb (Bücher I-II = ff. 8ra-52ra). Von Buch I bzw. I-II dieser Kommentare liegt eine Transkription vor.

2) Historisch-kritische Edition der Bücher I und II des Physikkommentars des Aegidius Romanus

Der ca. 1274/75 in Paris entstandene Physikkommentar des Augustinereremiten Aegidius Romanus ist in 30 vollständigen Handschriften überliefert. Diese handschriftliche Überlieferung zeigt eine komplexe Struktur, die eine universitäre – d. h. eine aus einem sogenannten universitären exemplar stammende – Tradition sowie auch eine von der universitären unabhängige Tradition umfasst. Zu Buch I (Silvia Donati) und Buch II (Thomas Dewender †) ist der Text auf der Basis von 8 Handschriften konstituiert und die Quellen sind nachgewiesen worden. Revisionsarbeiten und die Vorbereitung der historisch-philologischen Einleitung stehen noch bevor. Die Edition soll im Rahmen der Aegidii Romani Opera omnia der Unione Accademica Nazionale erscheinen.

B)

Im Mittelpunkt der inhaltlichen Untersuchung steht der Materiebegriff. Der Begriff der Materie wird von Aristoteles in Buch I der Physik im Rahmen der Erforschung der Prinzipien der Veränderung eingeführt. Die aristotelische Analyse ist für die Kommentatoren Ausgangspunkt für ausführliche Diskussionen, in denen sie die verschiedenen Aspekte ihrer Materielehren erläutern. Zur Zeit in Vorbereitung ist eine Studie zum ontologischen Status und zur Erkennbarkeit der Materie in der Kommentartradition des 13. Jahrhunderts.

Mitarbeiterin: Silvia Donati