Geschichte des Thomas-Instituts
Die Schaffung eines Instituts für mittelalterliche Philosophie an der Universität zu Köln hängt eng mit der Einrichtung eines Lehrstuhls zusammen, der – mit Rücksicht auf die prominente scholastische Tradition dieser Stadt (Albertus Magnus wirkte hier als Lehrer an der dominikanischen Klosterschule, sein berühmtester Schüler und Namengeber des Instituts, Thomas von Aquin, hielt sich für mehrere Jahre zu Studienzwecken in Köln auf; Duns Scotus hat hier seine letzte Ruhestätte gefunden, und nicht zuletzt wurde die Stadt für mehrere Jahre Zeuge des gegen Meister Eckhart geführten Inquisitionsprozesses) – dem Studium der Philosophie des Mittelalters im Philosophischen Seminar eine institutionelle Heimat geben sollte. Nach intensiv geführten Verhandlungen konnte Josef Koch (1885-1967) als erster Ordinarius auf diesem Stuhl gewonnen werden und trat sein neues Amt im Mai 1948 an, für das ihn etwa seine (gleichermaßen mit Durandus von St. Pourçain) befaßten Dissertations- bzw. Habilitationsarbeiten, nicht weniger aber die Herausgabe der lateinischen Werke des Meister Eckhart und die Mitarbeit an der Cusanus-Edition der Heidelberger Akademie der Wissenschaften empfohlen hatten.
Um den Aufbau einer solchen Forschungsinteressen entsprechenden Spezialbibliothek voranzutreiben und für Mitarbeiter an historisch-kritischen Editionen oder anderweitig mit dem Studium der mittelalterlichen Philosophie Beschäftigten die geeigneten Räumlichkeiten und Mittel bereitzustellen, wurde am 10. Oktober 1950 die Schaffung eines selbständigen ‚Thomas-Instituts an der Universität (zu) Köln‘ genehmigt. Als Institutsdirektor sollte der Satzung gemäß der jeweilige Lehrstuhlinhaber für Mittelalterliche Philosophie am Philosophischen Seminar fungieren – eine Konstruktion, die bis zum heutigen Tage Fortbestand hat. Gefördert wurde der Aufbau einer solchen Forschungsstätte nicht zuletzt durch eine großzügig bemessene finanzielle Beihilfe seitens des amerikanischen Hohen Kommissars für Deutschland, die den Bezug dreier Räume in Haus Nummer 22 an der Universitätsstraße erlaubte, welches auch heute noch das (mittlerweile um etliche Zimmer erweiterte) Institut beherbergt.
Eine der ersten Amtshandlungen Josef Kochs war die Eröffnung der nur wenige Monate zuvor anberaumten ersten Kölner Mediaevistentagung am 11. Oktober 1950, zu der ausdrücklich Wissenschaftler aus unterschiedlichen Fachdisziplinen zur gegenseitigen Unterrichtung über den Stand der Forschung eingeladen waren. Diese sehr breit gefaßte Ausrichtung ist den in den Folgejahren allerdings unter ein Generalthema gestellten Mediaevistentagungen – seit 1960 im Zweijahresrhythmus veranstaltet – bis heute zu eigen und hat dazu beigetragen, die am Institut geleistete Forschung von Anfang an für die interdisziplinäre Zusammenarbeit zu öffnen, wie denn die Mediaevistentagungen mehr und mehr auch die Funktion hatten, die internationalen Kontakte zu knüpfen und im persönlichen Gespräch zu pflegen.
Es ist das Verdienst von Paul Wilpert (1906-1967), der nach der Emeritierung Kochs 1954 das Direktorat übernommen hatte, mit der 1962 begonnenen Reihe „Miscellanea Mediaevalia“ das zum Standard gewordene publizistische Organ für die Veröffentlichung der Tagungsakten geschaffen zu haben. Zudem trafen sich Kochs und Wilperts Interessen in ihrer Auseinandersetzung mit dem Denken des Nikolaus von Kues, den Wilpert durch erste Übersetzungen in der ‚Editio minor‘ (als Seitenprojekt zur ‚Editio maior‘, der Ausgabe der „Opera omnia“ des Cusaners) den nicht spezifisch mit dem Mittelalter vertrauten Studenten und der interessierten Öffentlichkeit näherzubringen suchte. Hierher gehört auch die dem Institut durch die Heidelberger Akademie überantwortete Aufgabe, Photographien bzw. Mikrofilme der handschriftlichen Textzeugen cusanischer Schriften sowie deren verschiedene Editionen zu sammeln und nicht zuletzt die Forschungsliteratur so vollständig wie möglich zusammenzutragen. Über seine Mitarbeiterin Gudrun Vuillemin-Diem ist das Thomas-Institut seit Wilperts Direktorat überdies an dem von der Union Académique Internationale getragenen editorischen Großprojekt des „Aristoteles latinus“ beteiligt.
In die Amtszeit Paul Wilperts fällt auch der von ihm organisierte und in den ersten Septembertagen des Jahres 1961 abgehaltene zweite Internationale Kongreß für Mittelalterliche Philosophie der Société internationale pour l’Ètude de la Philosophie Médiévale (S.I.E.P.M.), die ihn bei dieser Gelegenheit zu ihrem Vize-Präsidenten wählte – ein Amt, das auch die beiden nachfolgenden Direktoren des Thomas-Instituts bekleiden sollten.
Paul Wilpert verstarb am Jahresanfang 1967 – im Märzmonat dieses Jahres sollte auch Josef Koch verscheiden. Umständehalber führte Karl-Heinz Volkmann-Schluck für kurze Zeit die Geschäfte weiter, bis Albert Zimmermann (1928-2017, Schüler Josef Kochs) Wilperts Nachfolge als Institutsdirektor und Lehrstuhlinhaber antrat. Unter seiner Ägide – Zimmermann war 1978 zum Direktor des ebenfalls von der Union Académique Internationale unterstützten Vorhabens „Averrois Opera“ ernannt worden (und führte dieses Amt bis 1996 weiter) – wurde das Thomas-Institut die zentrale Koordinationsstelle für die Editionen der arabisch, hebräisch und lateinisch überlieferten Texte des arabischen Denkers Averroes und trägt seither mit eigenen Mitarbeitern zum Teilprojekt des „Averroes latinus“ bei (Roland Hissette und Horst Schmieja). Eine hohe Auszeichnung wurde Albert Zimmermann mit der Wahl zum Präsidenten der S.I.E.P.M. 1992 (bis 1997) zuteil. In diese Zeit fiel auch das Ende der Teilung Europas nach dem Fall der Mauer. Die beiden Mediaevistentagungen 1990 und 1992 standen in besonderer Weise unter dem Eindruck der neuen Freiheit und der neuen Möglichkeiten der Zusammenarbeit.
Zimmermann trat 1993 in den Ruhestand. Für Lehrstuhl und Direktorenposten konnte Jan A. Aertsen (1938-2016, vormals Vrije Universiteit Amsterdam) gewonnen werden, mit dessen Namen das Projekt einer umfassenden Erforschung der mittelalterlichen Transzendentalienlehre verbunden bleibt. In die Jahre seines Direktorats fällt der Abschluß der von Gudrun Vuillemin-Diem besorgten Edition der lateinischen Übersetzungen der aristotelischen „Metaphysik“ sowie die Publikation des von Roland Hissette edierten „Commentum Medium Super Libro Peri Hermeneias“. Mit der Übernahme der heute unter dem Titel „Recherches de Théologie et Philosophie médiévales“ weitergeführten Zeitschrift von der Löwener Abtei Keizersberg konnten die publizistischen Tätigkeiten des Instituts ausgeweitet werden. Ein Höhepunkt dieser Jahre ist sicherlich der von Jan Aertsen gemeinsam mit Andreas Speer in Erfurt ausgerichtete X. Internationale Weltkongreß der S.I.E.P.M. im August 1997, in dessen Verlauf die Vize-Präsidentschaft dieser Gesellschaft dem Niederländer übertragen wurde. Der letzte Monat seiner Dienstobliegenheiten in Institut und Seminar – im Oktober 2003 wurde Jan A. Aertsen emeritiert – sah die Gründung der Gesellschaft für Philosophie des Mittelalters und der Renaissance (GPMR) in Berlin, als deren Geschäftsstelle das Thomas-Institut für mehr als ein Jahrzehnt fungierte.
Im April 2004 trat Andreas Speer, schon unter Albert Zimmermann Assistent am Institut und auch danach zunächst als Heisenbergstipendiat und schließlich als außerordentlicher Professor dem Institut verbunden, die Nachfolge Jan Aertsens an, nach Gastprofessuren in Notre Dame und Leuven und einer ordentlichen Professur in Würzburg (ab 2000). Die von ihm schon zuvor vorangetriebene internationale Ausrichtung des Instituts hat mit der Initiative der im September 2006 gegründeten European Graduate School for Ancient and Medieval Philosophy (EGSAMP) eine weitere institutionelle Festigung erfahren. Den laufenden Editionsprojekten ist (ebenfalls seit 2006) mit der historisch-kritischen Herausgabe des Sentenzenkommentars von Durandus von St. Pourçain ein Vorhaben an die Seite gestellt worden, das an jene Untersuchungen anschließt, die dem Institutsgründer Josef Koch seinerzeit eine glanzvolle mediävistische Laufbahn eröffneten. Ein weiteres Editionsprojekt, das bis zu Josef Koch zurückreicht, ist die Edition des „Dux neutrorum sive dubiorum“ (seit 2015). Im Rahmen der Exzellenzinitative erfolgte 2013 zunächst die Einrichtung einer Junior-Professur für Arabische und Jüdische Philosophie, die durch David Wirmer erfolgreich besetzt wurde und 2019 als Universitätsprofessur verstetigt wurde. Gemeinsam mit David Wirmer gelang Andreas Speer die Etablierung eines neuen Akademieprojekts „Averroes (Ibn Rušd) und die arabische, hebräische und lateinische Rezeption der aristotelischen Naturphilosophie“ (2016 mit einer Laufzeit bis 2040). Ferner erfolgte die Einrichtung einer Akademie-Juniorprofessur für Philosophie des Mittelalters unter besonderer Berücksichtigung der Wissenschaftsgeschichte und der Textedition, auf die 2018 Fiorella Retucci berufen wurde. Die Universitätspartnerschaft mit der St. Kliment Ohridski Universität in Sofia, die dem Direktor des Thomas-Instituts 2005 den Dr. honoris causa verlieh, bildet den Rahmen für die Präsenz der byzantinischen Philosophie. Neben die Vielfalt der Sprach- und Kulturräume eines langen Jahrtausends tritt zunehmend die Digitalisierung der Forschungsarbeit am Thomas-Institut. Seit 2012 ist Andreas Speer auch Sprecher des Cologne Center for eHumanities (CCeH). 2013 wurde er zum ordentlichen Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste gewählt. Seit 2020 ist er Mitglied des Senats der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG).